Derzeit wird so intensiv über Sprache gestritten wie lange nicht mehr – selbst im Karneval. Und in der Tat gibt es gute Gründe und drängende Anlässe, zu diskutieren, ob Begriffe oder Pointen Menschen verletzen. Ob wir Frauen einfach mitmeinen dürfen oder „gerechter“ sprechen müssen (siehe dazu diese Titelgeschichte). Und nicht zuletzt, ob Metaphern Ressentiments schüren.

Allerdings sind sachliche Beiträge leider die Ausnahme. Stattdessen dominieren diejenigen die Debatte, die nie lange nachdenken müssen, um ein eindeutiges Urteil zu fällen – und selbiges lautstark kundzutun.

Da wären zum einen jene, die im Namen des Guten alles geißeln, was außerhalb ethischer Leitplanken zu liegen scheint. Für sie sind zotige Witze über Unisex-Toiletten oder Doppelnamen genauso Ausweis reaktionären Denkens wie Vorbehalte gegen Gender-Sternchen. Und mir scheint: Je empörter sie Missetäter anprangern, desto moralisch überlegener fühlen sie sich.

Bedrohte Meinungsfreiheit? Gender-Unfug?

Dieser Habitus ist regelmäßig eine Steilvorlage für die Kombattanten am anderen Ende des gesellschaftlichen Spektrums, die nicht weniger facettenarm argumentieren.

Das hat die zurückliegende Social-Media-Woche eindrucksvoll gezeigt: Nach dem Shitstorm wegen Annegret Kramp-Karrenbauers Karnevalsgag meldeten sich eilig Populisten zu Wort, um an ihrem Lieblingsmythos zu stricken: der bedrohten Meinungsfreiheit. „Nach der Meinungsfreiheit liquidiert die Politische Korrektheit nun auch noch die Narrenfreiheit“, twitterte Norbert Bolz.

Das ist natürlich Quatsch, bekam aber 1200 Likes. Fast zeitgleich gab es breite Unterstützung für einen undifferenzierten Aufruf zum „Widerstand gegen den Gender-Unfug“ – obwohl der Initiator der „Verein Deutsche Sprache“ ist, bei dem mich bereits vor einigen Monaten das Gefühl beschlich, dass er nicht nur die Sprache frei von neuen Einflüssen halten will

Das Eigenleben urbaner und digitaler Filterblasen

Ich fürchte: Einige Politiker, Journalisten und Intellektuelle haben sich in ihren urbanen und digitalen Filterblasen weit von großen Teilen der Gesellschaft entfernt.

Die Diskrepanz durfte ich letzte Woche auf einer Karnevalssitzung in Köln live beobachten: Als Bernd Stelter genüsslich jene Doppelnamen-Witze wiederholte, über die sich die Twitteria fürchterlich aufgeregt hatte, wurden er begeistert gefeiert. Die Devise lautete eindeutig: Jetzt erst recht.

Natürlich müssen wir auch gegen „Volkes Stimme“ schreiben. Aber wenn wir zu weit abheben, wird unsere eigene Stimme nicht mehr gehört. Die etablierten Medien und Parteien haben deshalb bereits etliche Menschen verloren – zum Teil leider an stramm rechte Internetportale und die AfD, die dreisterweise für sich in Anspruch nimmt, Volkes Stimme zu sein.

Sprache: Das Bessere ist der Feind des Guten

Ich bin deshalb überzeugt, dass das gereizte Streben nach möglichst gerechter Sprache gefährlich ist – zumal „Gerechtigkeit“ ein fürchterlich subjektiver Begriff ist. Wer mit perfektionistischem Habitus und moralischem Impetus Leitplanken definiert, provoziert unweigerlich Ablehnung. Und zwar weit über reaktionäre Kreise hinaus.

Auch bei der Sprache gilt deshalb: Das Bessere ist der Feind des Guten. Wenn aus Leitplanken ein (gefühltes) Korsett wird, macht das die Welt nicht besser, sondern die Populisten stärker.

Hoffen wir deshalb, dass sich die Besonnenen stärker in die Debatte einschalten. Zum Beispiel Sprachästheten, die die ungelenke Gender-Sprache kritisch sehen – aber respektieren, dass sich viele Frauen diskriminiert fühlen, wenn sie „mitgemeint“ werden. Oder Bildungsbürger, die AKKs Toilettenwitz niveaulos fanden, aber Menschen das Recht auf ihren eigenen Humor zubilligen.